Editorial: Nichts ist mehr wie früher
Es ist unmöglich, nicht auf die letzte Generalversammlung von Nestlé zurückzukommen. ACTARES wurde Zeuge einer eigentlichen Revolution im schweizerischen Aktionärswesen. Zum ersten Mal konnten die Aktionärinnen und Aktionäre des Nahrungsmittelgiganten über Anträge aus ihren Reihen abstimmen. Der Ethos-Stiftung war es gelungen, genügend Kapital zusammenzubringen, um drei Anträge auf die Traktandenliste der Generalversammlung setzen zu lassen. Verbot des Doppelmandates, Verkürzung der Mandatsdauer der Verwaltungsräte und Herabsetzung der Schwelle für Traktandierungsbegehren.
Der Erfolg übertraf die kühnsten Erwartungen. Nur 51% stimmten für das Doppelmandat und 36% für den Antrag von Ethos. Ein solches Resultat hat revolutionären Charakter, wenn man davon ausgeht, dass in der Regel die Ja-Stimmen fast 100% betragen. Die Verkürzung der Mandatsdauer wurde wegen nicht erreichtem Quorum gar nicht zur Abstimmung gebracht, die Herabsetzung der Schwelle für Traktandeneingaben erzielte 14% Ja und 12% Enthaltungen.
Die knappe Mehrheit in der ersten Abstimmung ist ein teuer erkaufter Sieg für Peter Brabeck, der jetzt Präsident und CEO in Personalunion ist. Die Konzentration der Macht in seinen Händen, am Vorabend noch als beste aller Lösungen verkauft, ist zu einer Übergangslösung geworden, die nicht mehr als zwei Jahre dauern soll. Es folgte sein Verzicht auf Einsitz im Entschädigungsausschuss von Nestlé, sowie auf die Wahl zum Vizepräsidenten des Verwal-tungsrates der Credit Suisse. Der Aufstand der AktionärInnen ist nicht ohne Folgen geblieben.
Am 14. April 2005 hat ein neues Zeitalter begonnen. Ein Teil des Aktionariats von Nestlé hat der selbstherrlichen und arroganten Führung gezeigt, dass die Generalversammlung das letzte Wort hat und auf die Ausrichtung des Unternehmens Einfluss nehmen kann und soll. Die Zeit der ungeteilten Macht der Führungspersonen und der automatischen Absegnung aller Anträge und Wahlen, mit 99% und mehr, ist vorbei.
Natürlich fehlte es nachträglich nicht an Stimmen, die den Pensionskassenverwaltern die Legitimation zur aktiven Vertretung der Stimmrechte absprechen. Die NZZ hat dafür sogar ein neues Wort geschaffen: Pensionskassen-Sozialismus!