Offene Fragen bei Nestlé
Dieses Jahr brachte ACTARES an der Nestlé-Generalversammlung die Beziehung zwischen dem Nachhaltigkeitsbericht und dem Thema gemeinsame Wertschöpfung sowie den Verhaltenskodex zur Sprache.
Der zweite umfassende Nachhaltigkeitsbericht von Nestlé erschien termingerecht. Das erklärte Ziel lautete, man wolle die international anerkannten Berichterstattungspraktiken – die Global Reporting Initiative (GRI) und deren G3-Richtlinie – verstärkt berücksichtigen. Letztere sehen präzise Schlüsselindikatoren für sechs Bereiche vor. Im Umweltbereich sind die Fortschritte des Nestlé-Reportings zu begrüssen. Die Daten zu den gesellschaftlichen Leistungsindikatoren und zu den Arbeitspraktiken dagegen sind spärlich, jene zu den Indikatoren über Gesellschaft und Menschenrechte fehlen ganz.
Nachhaltigkeitsbericht nach Nestlé-Art
Hingegen hat Nestlé eigene Indikatoren im Zusammenhang mit dem Konzept der gemeinsamen Wertschöpfung (Creating Shared Value, CSV) entwickelt. Dessen Stellenwert ist so gross, dass es nicht nur den Titel, sondern auch Aufbau und Inhalt des Berichts prägt: Es werden zahlreiche schöne Geschichten erzählt, die aber wenig mit dem zu tun haben, was gemeinhin unter Berichterstattung verstanden wird.
Gemeinsame Wertschöpfung vor Nachhaltigkeit
In der Wertehierarchie von Nestlé steht die CSV sogar über der Nachhaltigkeit – dies, obwohl Nachhaltigkeit gemäss Definition der UNO nicht auf ökologische Aspekte beschränkt ist, sondern wirtschaftliche, gesellschaftliche und umweltbezogene Anliegen gleichermassen abdeckt. Um sich zu vergewissern, dass die CSV nicht als Vorwand dient, um die Konformitäts- und Nachhaltigkeitsverpflichtungen zu vernachlässigen, fragte ACTARES an der Generalversammlung 2010, weshalb Nestlé der CSV grösseres Gewicht beimisst als der Nachhaltigkeit.
In seiner Antwort erklärte Präsident Peter Brabeck, die Nachhaltigkeit nehme im Bericht einen wichtigen Platz ein. Allerdings reduzierte er diese unterschwellig auf ihren ökologischen Aspekt. Die CSV sei insofern ein wegweisendes Konzept für die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens, als es diese aus einem rein karitativen Rahmen («Tsunami-Effekt») herauslöst und in ein zentrales Geschäftsmodell integriert: die langfristige Schaffung von Werten sowohl für die Aktionäre als auch für die Gesellschaft.
Gerechtigkeit oder Wohltätigkeit?
Aus unserer Sicht beruht die GRI auf dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit. Bislang befolgt Nestlé deren Richtlinien fast ausschliesslich im Umweltbereich. Bei allen anderen Themen bevorzugt das Unternehmen eine – zugegebenermassen elaborierte – gönnerhafte Haltung. Nach wie vor bestimmt Nestlé, nach welchen Regeln geteilt wird. Die zahlreichen Kontroversen – namentlich gewerkschaftlicher Natur – zeigen, dass nicht alle Partner damit einverstanden sind.
Bespitzelung: unnachgiebige Haltung
Im Anschluss an die Bespitzelung der Organisation Attac hatte ACTARES eine Verschärfung des Verhaltenskodex gefordert. Dies wurde mit dem Argument abgelehnt, der Kodex müsse sich auf Grundsätzliches beschränken. Der Forderung vom November 2009, in dem ACTARES Nestlé aufforderte, auf die Forderungen der Kläger einzugehen, wurde bis heute nicht Folge geleistet.
Symbolträchtiger Etappensieg für die Frauen
Seit dem 15. April 2010 zählt der Verwaltungsrat von Nestlé drei Frauen. Nach Auffassung von ACTARES hat damit die Vertretung der Frauen die Phase der Lippenbekenntnisse überwunden und macht nun ernsthafte Fortschritte. ACTARES beglückwünscht Nestlé zu dieser positiven Entwicklung und ruft die übrigen Unternehmen – namentlich jene des SMI – auf, dem Beispiel zu folgen.