Interview: Antoinette Hunziker-Ebneter
Antoinette Hunziker-Ebneter, CEO und Gründungspartnerin der Forma Futura Invest AG, ehemalige Chefin der Schweizer Börse, richtete sich im Rahmen der ACTARES-Mitgliederversammlung vom 27. September 2012 an die Anwesenden.
ACTARES: Der eingeschränkte Zugang von Frauen zu wirtschaftlichen Schlüsselpositionen ist in der westlichen Welt seit Jahrzehnten ein brisantes Thema. Hegen Sie noch Hoffnung auf Fortschritte?
Antoinette Hunziker-Ebneter: Wenn der Wille tatsächlich vorhanden wäre, hätten wir dieses Problem schon vor mindestens zehn Jahren gelöst. Es handelt sich übrigens nicht nur um eine ausgewogene Vertretung der Geschlechter, sondern um Diversität im weiteren Sinne. Die Spitzenpositionen der Unternehmen sind nahezu ausschliesslich von Männern reifen Alters und westlicher Herkunft besetzt, die eine beachtliche berufliche Karriere hinter sich haben. Diese Einförmigkeit stellt ein strategisches Risiko für unsere Wirtschaft dar. Die moderne Realität ist vielfältig, man muss ihre zahlreichen Facetten verstehen.
Sind Kompetenz und Erfahrung bei der Besetzung eines verantwortungsvollen Postens nicht wichtiger als alle anderen Kriterien?
In meiner Karriere als CEO musste ich feststellen, dass Frauen leider allzu häufig ihre Führungskompetenzen unterschätzen. Ihre männlichen Kollegen und Konkurrenten sehen sich in ihren Vorurteilen bestätigt, deshalb setzt sich der Teufelskreis weiter fort. Er kann nur durchbrochen werden, wenn der Wille dazu vorhanden ist. Bei nicht-exekutiven Funktionen sieht die Lage anders aus. Ein Verwaltungsrat beispielsweise muss als Kollegium fungieren, nicht als Bühne für einzelne Individuen. Hier wird Diversität zum Erfolgsfaktor, und zwar Diversität in Bezug auf Alter, Kultur, Erfahrung, Kompetenz und selbstverständlich auch Geschlecht. Diversität an der Führungsspitze gibt Unternehmen die Mittel an die Hand, ihre Antizipations- und Anpassungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Als Vertretung des Aktionariats konzentriert sich ACTARES in erster Linie auf die Präsenz von Frauen in den Verwaltungsräten. Hat die Schweiz in dieser Hinsicht wirklich viel aufzuholen? Oder sind wir zu perfektionistisch und neigen zu übermässiger Selbstanklage?
Mit einem Frauenanteil von 40 Prozent liegt Norwegen weltweit an der Spitze; dieser Wert entspricht übrigens den gesetzlichen Bestimmungen des Landes. Insgesamt gesehen führen die skandinavischen Länder, gefolgt von den immerhin sehr liberalen Vereinigten Staaten mit 15 Prozent. In der Schweiz liegt der Frauenanteil in den VR bei 9 Prozent. Nicht nur Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und nahezu alle anderen europäischen Länder schneiden besser ab, sondern auch Südafrika, die Türkei und Hongkong. China folgt mit knappem Abstand; Japan, Südkorea und die restlichen BRIC-Staaten hinken weit hinterher. Verglichen mit ähnlichen Wirtschaftsstandorten und Konkurrenten ist die Schweiz objektiv im Verzug.
Ist die Forderung nach Diversität in der Führungsetage, insbesondere im Hinblick auf die ausgewogene Vertretung von Männern und Frauen, lediglich ein Gebot der Gleichheit oder ist sie auch wirtschaftlich motiviert?
Das eine schliesst das andere nicht aus. Zahlreiche Studien weisen einen Zusammenhang zwischen dem Unternehmenserfolg und dem Anteil von Frauen in Spitzenpositionen nach. Gemischte Teams sind reinen Männer- oder Frauenteams nicht nur in der Konfliktlösung und der Kommunikation überlegen, sie trumpfen auch hinsichtlich Flexibilität, Konstanz und Kreativität. Und Unternehmen, die von gemischten Organen geführt werden, schneiden auch punkto Unternehmenserfolg, Kapitalrendite und Börsenkurs schlichtweg besser ab.