Gefährdet Credit Suisse den Grauwal?
Die Credit Suisse First Boston (CSFB) berät die in der Steueroase Bermudas angesiedelte Firma Sakhalin Energy Investment Company, die von Shell kontrolliert wird. Sakhalin Energy will in den nächsten Jahren mindestens 12 Milliarden Dollar in das bisher weltweit teuerste Öl- und Gasförderprojekt investieren. «Sachalin II», wie der geplante Ausbau genannt wird, könnte verheerende Auswirkungen auf den vom Aussterben bedrohten Westpazifischen Grauwal haben. Das Projekt ist lokal sehr umstritten und wird von Fischern und Angehörigen indigener Völker bekämpft, die ihre Lebensweise bedroht sehen.
In ihrem Nachhaltigkeitsbericht 2004 schreibt die Credit Suisse Group (CS): Verantwortung gegenüber Kunden, Investoren und Mitarbeitenden sowie gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt wahrzunehmen, ist eine Voraussetzung für langfristigen Geschäftserfolg. Sichtbar wird diese Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt unter anderem in einem recht guten Umweltbericht und in der Unterzeichnung verschiedener internationaler Abkommen. Problematisch an diesen Abkommen ist jedoch, dass sie praktisch immer auf Freiwilligkeit setzen. Kontrollen sind nicht vorgesehen, Sanktionen schon gar nicht. Die Credit Suisse gehörte 2003 zu den Erstunterzeichnerinnen der Equator Principles (EP), einer Selbstverpflichtung international tätiger Banken, die bis heute von mehr als zwei Dutzend Firmen unterzeichnet wurde (s. unten). Auch die EP sehen keine wirksame Kontrolle und keine Sanktionen vor.
Der Fall Sakhalin Energy
Der Fall Sachalin ist ein gutes Beispiel für einen Fall, wie sie in der Praxis immer wieder vorkommen: die Nachhaltigkeit muss zu Gunsten von Geschäftsinteressen zurücktreten. Die Insel Sachalin gehört zu Russland. Sie ist etwa 100 km lang und befindet sich nördlich von Japan im Ochotskischen Meer. Die von Shell kontrollierte Firma «Sakhalin Energy Investment Company» plant, die Öl- und Gasförderung auf der Insel massiv auszubauen. Dazu gehören unter anderem zwei neue Offshore Förderplattformen und zwei Pipelines von mehr als 800 km Länge. Auf dieser Strecke müssen über 1000 Flüsse und Bäche und 24 erdbebengefährdete Falten überquert werden. Die bisher getroffenen Vorkehrungen gegen austretendes Öl liegen laut einem Bericht des Wall Street Journal vom September 2002 weit unter den Standards, die zum Beispiel in Kanada oder Norwegen üblich sind.
Wale von Aussterben bedroht
Schwer gefährdet durch das Projekt wird der vom Aussterben bedrohte Westpazifische Grauwal. Schon der Bau und der Betrieb der Förderplattformen bedeuten einen schwerwiegenden Eingriff in den Lebensraum dieser Tiere. Ein Unfall mit austretendem Öl würde mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ende dieser Walart bedeuten. Als Reaktion auf die Proteste hat Sakhalin Energy angekündigt, eine Pipeline zu verlegen. Dieser Schritt reicht jedoch nicht aus, um die Gefährdung der Wale zu beseitigen.
Die Rolle der Credit Suisse
Der Credit Suisse First Boston (CSFB) kommt zum jetzigen Zeitpunkt eine Schlüsselrolle zu. Als „Financial Advisor“ berät die CSFB Sakhalin Energy bei der Zusammenstellung des Finanzie¬rungspaketes. Als Ergänzung zur Finanzierung durch öffentliche Finanzinstitute wie der Eu¬ropäischen Entwicklungsbank wird die CSFB in den nächsten Monaten versuchen, ein Konsor¬tium von privaten Geschäftsbanken für eine Teilfinanzierung zu gewinnen. Die Credit Su¬isse hat sich mit der Unterzeichnung der so genannten Equator Principles dazu verpflich¬tet, bei Projektfinanzierungen auf die Schonung der Umwelt zu achten sowie Rechte der betroffenen Bevölkerung zu respektieren. Streng juristisch fällt das Mandat als „Advisor“ nicht unter die EP, da diese nur Projektfinanzierungen betreffen. Es steht aber inhaltlich klar im Widerspruch zum Geist der EP. Es ist paradox, wenn die CS die Finanzierung organisiert für ein Projekt, an dem sie sich selbst auf Grund der Equator Principles nicht beteiligen kann. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass die Boni der direkt Beteiligten ausschliesslich von der Höhe der Kreditsumme abhängen. Es gibt keine finanziellen Anreize zur Beachtung von ökologischen Grossrisiken.
In der ausführlichen Antwort auf unsere Fragen argumentierte die CS, eine Pipeline sei nötig, weil die Häfen im Norden der Insel nicht das ganze Jahr eisfrei seien und man Erdöl und Erdgas in den Süden leiten müsse, um sie dort verschiffen zu können. Die geplante Pipeline habe die Umweltbedingungen zuerst nicht erfüllt; nach einer Verlegung mit mehreren hundert Mio. Dollar Mehrkosten sei dies jedoch jetzt gegeben. Dass das Projekt als Ganzes die Bedingungen der Equator Principles nicht erfüllen könnte, war kein Thema.
Kritisch anzumerken ist am Schluss, dass an der Generalversammlung der CS die einleitenden Voten von Verwaltungsratspräsident und CEO rund 80 Minuten dauerten. Die GV ist die Veranstaltung der Aktionärinnen und Aktionäre. Die Führung der Credit Suisse hat sehr viele andere Möglichkeiten und Gelegenheiten, um sich mitzuteilen. Die AktionärInnen haben nur die GV. Man fragt sich, ob die lange Dauer der Reden bewusst darauf angelegt ist, die Zeit der Aktionärsvoten zu beschneiden.
Equator Principles
Im Juni 2003 gehörte die Credit Suisse zu den Gründungsmitgliedern der Equator Principles. Bis heute haben mehr als zwei Dutzend international tätige Banken diese Prinzipien unterzeichnet. Sie verpflichten sich damit, die Umwelt- und Sozialstandards der International Finance Corporation (IFC) bei Projektfinanzierungen zu respektieren. IFC ist derjenige Teil der Weltbank, der für die Finanzierung von privatwirtschaftlichen Projekten zuständig ist.
Die Equator Principles haben sich seit ihrer Lancierung rasch weiterentwickelt und beziehen sich nicht mehr nur auf das reine Projektfinanzierungsgeschäft. Sie sind daran, zu einem allgemein gültigen Massstab für die Beachtung von Umwelt- und Sozialverträglichkeit zu werden. Einige führende Projektfinanzierungsbanken wenden diese Prinzipien bei sensiblen Geschäften auch ausserhalb des eigentlichen Gültigkeitsbereich an. Deshalb haben auch Banken die Equator Principles unterzeichnet, die wie die UBS keine Projektfinanzierungsgeschäfte machen. Ausserdem unterhalten die Equator-Banken einen institutionalisierten kontinuierlichen Dialog mit Nicht-Regierungsorganisationen.
Die Equator Principles haben folgende Schwachpunkte: Es gibt keinen Mechanismus, um die Einhaltung zu überwachen, es existieren keine Sanktionen gegen fehlbare Mitglieder und sie beschränken sich auf Projektfinanzierung in einem sehr eng definierten Sinn („direct lending“).
Ein Jahr nach Einführung der EP ist die Bilanz noch eher mager. Zwar haben sich über zwei Dutzend Grossbanken auf die Prinzipien verpflichtet, die Umsetzung lässt aber sehr zu wünschen übrig. Bei den meisten Banken sind kaum zusätzliche Mittel oder spezialisiertes Personal eingesetzt worden. Bonusprogramme, die sich ausschliesslich an der Höhe der vergebenen Kredite messen, sind der Umsetzung nicht gerade förderlich. Eine sehr umstrittene Pipeline von Aserbeidschan in die Türkei wird von einer Reihe von Equator-Banken finanziert.