Saison 2023
Nach drei Jahren pandemiebedingter Absenz kam die physische Generalversammlung zurück. Credit Suisse hörte auf, als unabhängige Bank zu existieren, während unter dem Namen Sandoz wieder ein eigenständiges Unternehmen entsteht.
Mit dem Einläuten des Jahres 2023 trat das neue Aktienrecht in Kraft. An den Generalversammlungen führte das zu einer Flut von Traktanden zur Statutenänderung. Zu den aus Aktionärssicht wichtigeren Änderungen gehören unter anderem: die Möglichkeit eines Kapitalbands, womit Unternehmen ermächtigt werden, in einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren das Aktienkapital nach Bedarf um eine bestimmte Menge zu erhöhen oder zu reduzieren; die Senkung von Schwellenwerten; und die Möglichkeit von virtuellen Versammlungen.
Nichts hat sich hingegen beim Thema Vergütungen geändert: Zum grössten Teil sind sie immer noch übertrieben hoch, vor allem der variable Anteil, der ein Mehrfaches des Grundgehalts betragen kann – und Fringe Benefits machen bisweilen die Häfte des Fixgehalts aus. Actares mahnte in dieser Saison verschiedentlich an, dass eine Selbstbeschränkung bei der Vergütung gut zur Nachhaltigkeitsrhetorik passen würde, die viele Unternehmen pflegen. Bis jetzt stossen solche Denkanstösse noch auf taube Ohren ...
Bei Klimastrategien viel Luft nach oben
Vier Unternehmen im Swiss Market Index (SMI) haben ihre Klimapläne dem Aktionariat zu einer konsultativen Abstimmung vorgelegt: Nestlé machte 2021 den Anfang. Holcim und UBS liessen jeweils 2022 und 2023 darüber abstimmen und Credit Suisse zog 2023 nach. Somit gab es bis jetzt bei vier von zwanzig SMI-Unternehmen ein «Say on Climate». Actares hat verschiedene Unternehmen gefragt, ob sie ihren Klimaplan traktandieren möchten – viele warten die Saison 2024 ab und wollen den Klimaplan dann als Teil des Nachhaltigkeitsberichts vorlegen. Wenn diese Praxis sich durchsetzt, könnte die Zeit eines separaten «Say on Climate» schon bald wieder vorbei sein.
Seit der Saison 2022 analysiert Actares die Klimastrategien der SMI-Unternehmen. In der Saison 2023 erfüllten zehn Unternehmen die Anforderungen von Actares, acht erfüllten sie nicht: Alcon, Credit Suisse, Geberit, Lonza, Swiss Life, Partners Group, Sonova und UBS. (Die Generalversammlungen von Richemont und Logitech stehen im Herbst an.) Verbessert haben sich im Vergleich zu 2022 zwei Unternehmen, Roche und Sika.
Wo Actares beim Klima genauer hinschaut
Besondere Aufmerksamkeit verdienen einerseits die zwei Unternehmen, die für den Löwenanteil an Emissionen verantwortlich sind, Holcim und Nestlé, deren globales Geschäft je fast die dreifache Menge an Emissionen produziert wie die Schweiz als Ganzes. Beide Unternehmen sind klimastrategisch gut aufgestellt, aber es existieren Lücken und Unwägbarkeiten, die Actares im Auge behalten wird. Andererseits die Finanzbranche: Die Steuerung von Kapitalflüssen ist ein wichtiger Hebel für die Transformation hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft. Aber die Hälfte der SMI-Unternehmen, deren Klimapläne Actares als ungenügend taxiert, sind Teil der Finanzbranche. Hier ist weiterer Dialog und Druck notwendig.
Die Arbeitsgruppe Klima hat sich Anfang Jahr vertieft mit bestimmten, häufig wiederkehrenden Bestandteilen von Klimaplänen beschäftigt: natürlichen und technologischen CO2-Senken, unternehmensinternen CO2-Preisen und dem Dialog mit Zulieferern – Letzterer ist wichtig, weil dort bei vielen Unternehmen der Grossteil der Emissionen anfällt.
Nestlé: Die Messlatte muss höher liegen
Der Slogan von Nestlé ist «Good Food, Good Life». Aber wird das Unternehmen diesem Anspruch gerecht? Im Zusammenhang mit bakterienverseuchten Pizzas einer Nestlé-Marke aus einer Fabrik im französischen Caudry sind zwei Kinder gestorben, andere wurden schwer krank und leiden zum Teil heute noch an den Folgen. Hinweise auf die Zustände in der betreffenden Fabrik wurden offenbar nicht gehört. Actares sprach diese Affäre im Briefwechsel und an der Generalversammlung an und verweigerte Nestlé deswegen die Entlastung.
Ein anderes prominentes Thema im Dialog mit Nestlé sind Plastikverpackungen. Nestlé gehört weltweit zu den allergrössten Verbrauchern von Plastik im Konsumgüterbereich. Actares fragte: Welche Einsparung hat das Unternehmen beim Verbrauch von Plastik gemacht? Ist ein Paradigmenwechsel denkbar von rezyklierbaren zu wiederverwendbaren Verpackungen, um die Plastikmenge im Umlauf zu reduzieren?
Holcim: Doppelmandat kritisiert
CEO Jan Jenisch rückte an der Generalversammlung von Holcim für den scheidenden Beat Hess ins Verwaltungsratspräsidium nach. Die CEO-Funktion wird er jedoch bis auf weiteres behalten. Actares kritisierte dieses Doppelmandat. Holcim hätte genug Zeit gehabt, die CEO-Nachfolge vorzubereiten und ein Doppelmandat zu vermeiden. Actares stimmte der Wahl trotzdem zu, weil das Unternehmen versprach, in den kommenden zwölf Monaten eine Nachfolge für das Amt des CEO bekannt zu geben und die Funktion eines Lead Independent Director zu schaffen.
Die Treibhausgas-Emissionen der Zementbranche betragen ungefähr sieben Prozent des globalen Ausstosses, deshalb ist die Klimastrategie von Holcim von eminenter Bedeutung. Positiv: Holcim berichtet fast vollständig über seine Emissionen und hat eine nachvollziehbare Strategie zu deren Reduktion vorgelegt. Weil diese sehr stark an den Erfolg technischer Innovationen gekoppelt ist, wird Actares aber genau verfolgen, ob sie wirklich die erhoffte Wirkung entfalten.
Novartis: Fragen zur Grundversorgung
An der Generalversammlung von Novartis stellte Actares verschiedene Fragen zur geplanten Ausgliederung von Sandoz aus dem Unternehmen. Diese Ausgliederung könnte weitreichende Folgen haben, denn Sandoz gehört zu den weltweit grössten Herstellern von Antibiotika und betreibt die letzten Produktionsanlagen in Europa. Actares erinnerte die Novartis-Führung daran, dass sie bei diesem Geschäft eine gesellschaftliche Verantwortung trägt und zur Kontinuität der Produktion und zum Standort Europa Sorge tragen sollte.
Weitere Themen im Dialog mit Novartis waren die Lieferengpässe bei unentbehrlichen Arzneimitteln und die Entstehung von Bakterienstämmen mit Antibiotikaresistenzen – verbunden mit der Frage, wie Novartis diese Herausforderungen meistern will. Auch beim Thema Ausweitung des Zugangs zu Medikamenten in Entwicklungs- und Schwellenländern bohrte Actares nach.
Banken: Wie so oft die Sorgenkinder ...
Das plötzliche Ende der Credit Suisse war das prägende Ereignis der Saison 2023 und sorgte für eine steile Zunahme der Medienanfragen an die Geschäftsstelle. Bei der Generalversammlung von Credit Suisse erinnerte Actares daran, dass das Risikomanagement der Bank seit Jahren ungenügend war und dass Actares dieses ebenso lange kritisiert hatte. Bei der Generalversammlung von UBS forderte Actares, dass die risikobehafteten Geschäftsbereiche bei der Integration von Credit Suisse zurückgestutzt und der unvermeidliche Abbau von Stellen sozialverträglich gestaltet werde.
Actares erinnerte aber auch daran, dass UBS mit Credit Suisse nicht nur finanzielle, sondern auch Klimarisiken übernimmt. So war Credit Suisse viel stärker als UBS in die Finanzierung von Fracking involviert. Actares erwartet, dass UBS für solche neu übernommenen Geschäfte einen konsequenten Ausstiegsplan entwickelt. In anderen Bereichen war Credit Suisse wiederum ehrgeiziger als UBS – etwa bei der Selbstverpflichtung zum Ausstieg aus der Kohle. Die neue Bank muss bei der Zusammenführung von Geschäften und Klimaplänen den jeweils klimafreundlicheren Standard zum Massstab nehmen. Zu loben gab es immerhin, dass sowohl Credit Suisse wie UBS über ihre Klimastrategien abstimmen liessen (auch wenn diese den Anforderungen von Actares nicht genügten).
Versicherungen: Der ruhige Teil der Finanzbranche
Viel weniger Aufregung herrscht derzeit in der Versicherungsbranche. Swiss Re und Zurich sind in ihrer Klimastrategie weiter als die Banken, auch wenn immer noch Verbesserungspotenzial besteht (so lässt Zurich zum Beispiel ihr Netto-Null-Ziel nicht extern validieren und die Vergütungsanreize zum Klimaschutz sind nicht ehrgeizig genug). An der Generalversammlung von Swiss Re gab Actares deshalb der Hoffnung Ausdruck, Sergio Ermotti möge bei seinem Wechsel vom Swiss-Re-Präsidium auf den UBS-Chefsessel etwas von der Klimasensibilität des Versicherers zur Grossbank mitnehmen.