Neuer Anlauf für Konzernverantwortung

Die EU legt vor, die Schweiz muss nachziehen. Ein Gastbeitrag der Koalition für Konzernverantwortung.

Von Dominique de Buman, Alt-Nationalrat Die Mitte, Vorstandsmitglied Koalition für Konzernverantwortung


Die europaweite Konzernverantwortungsrichtlinie, bekannt als Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), wurde vor Kurzem von den EU-Mitgliedsstaaten endgültig verabschiedet. Die Richtlinie verpflichtet grosse Unternehmen ab 1000 Mitarbeitenden und einem Umsatz von mindestens 450 Millionen Euro europaweit dazu, bei ihren Geschäften Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten und ihre klimaschädlichen Emissionen zu reduzieren. Die Einhaltung dieser Pflichten soll durch nationale Aufsichtsbehörden überwacht werden, die auch Bussgelder verhängen können. Darüber hinaus können Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden, für die Konzerne mit Sitz in der EU verantwortlich sind, vor Gericht Schadenersatz einfordern. Im Bereich Klima müssen die Konzerne einen Plan entwickeln, wie sie ihre Geschäftstätigkeit mit dem Pariser Klimaziel in Einklang bringen, und diesen umsetzen.

Umfassende Pflichten für Grosskonzerne in der EU: breite Zustimmung

Während der Diskussionen im Vorfeld der endgültigen Verabschiedung haben sich zahlreiche Unternehmen öffentlich für die neuen Regeln ausgesprochen. Darunter sind bekannte Firmen wie H&M, Lidl, Aldi, Unilever, Bayer und viele weitere. Die endgültige Version der Richtlinie wurde dann auch von Vertreterinnen und Vertretern aller politischen Lager unterstützt: Im EU-Parlament stimmte am Schluss eine deutliche Mehrheit von 374 zu 235 Stimmen zu – und im Ministerrat stellte sich eine Mehrheit der Staaten, die gemeinsam mehr als 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, hinter die Richtlinie. Auch anfänglich kritische Staaten wie Schweden stimmten dem Kompromiss am Schluss zu. Es gab mehrere Enthaltungen, doch kein einziges Land lehnte die Richtlinie schlussendlich ab.

Die europäische Konzernverantwortungsrichtlinie tritt diesen Sommer in Kraft und alle EU-Staaten müssen sie innerhalb von zwei Jahren in ihr nationales Recht umsetzen.

Schweiz bald einziges Land ohne Konzernverantwortung

Und wo steht die Schweiz? Noch 2020 behaupteten Gegnerinnen und Gegner im Abstimmungskampf über die Konzernverantwortungsinitiative, die Schweiz würde mit einem Ja zur Initiative im Alleingang «weltweit einzigartige Haftungsregeln» einführen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter versprach damals, «international abgestimmt» vorgehen zu wollen und «gleich lange Spiesse» für Konzerne in der Schweiz und der EU anzustreben. Der Bundesrat engagierte sich damals aussergewöhnlich stark gegen die Initiative. Dieses Engagement wurde später von der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats auch als unverhältnismässig kritisiert. Mithilfe einer breiten Bewegung und des enormen Engagements von Zehntausenden von Freiwilligen erreichte die Initiative trotzdem das Volksmehr, scheiterte am Ende jedoch am Ständemehr. Es trat deshalb der Alibi-Gegenvorschlag in Kraft, der Schweizer Konzerne nicht zur Verantwortung zieht, wenn sie Menschenrechte verletzen oder die Umwelt zerstören. Die Schweiz ist damit bald das einzige Land in Europa ohne Konzernverantwortung. Der Bundesrat muss nun dringend sein Versprechen aus dem Abstimmungskampf einhalten und mit den internationalen Entwicklungen mitziehen.

Wirtschaftsakteure verlangen Nachvollzug – Bundesrat blockiert

In der Schweiz haben wir heute aber eine blockierte Situation: Der Bundesrat plant diesen Sommer lediglich eine kleine Anpassung der EU-Berichterstattungspflichten, mehr will er nicht tun. Dabei hat die EU-Kommission bereits 2020 festgestellt, dass solche Pflichten allein nicht ausreichen, um problematische Geschäfte zu stoppen. Konzerne müssen damit nämlich lediglich in Hochglanzbroschüren erklären, dass sie sauber geschäften – kontrolliert oder sanktioniert wird dies aber nicht. Die Blockade in der Schweiz wird auch aus der Wirtschaft immer lauter kritisiert: In den letzten Monaten haben mehrere Wirtschaftsverbände in den Medien die Wichtigkeit eines raschen Nachvollzugs der EU-Konzernverantwortungsrichtlinie betont. Auch viele weitere Stimmen aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft setzen sich für ein Schweizer Konzernverantwortungsgesetz ein. Vor Kurzem trat das Komitee «Appell für Konzernverantwortung im internationalen Gleichschritt» an die Öffentlichkeit, das 150 kantonale und nationale Politikerinnen und Politiker aller Parteien sowie zahlreiche Unternehmerinnen und Unternehmer vereint, die sich allesamt für eine Deblockade im Dossier Konzernverantwortung aussprechen und den Bundesrat zum Handeln auffordern.

Schweizer Konzerne: immer noch viele Fälle von Verantwortungslosigkeit

Wie dringend das Thema Konzernverantwortung nach wie vor ist, sieht man auch daran, wie Monat für Monat neue Fälle von gravierenden Menschenrechtsverletzungen und massiver Umweltzerstörung publik werden, in die Schweizer Konzerne verwickelt sind. So betreibt beispielsweise Glencore in Peru die riesige Kupfermine Antapaccay, durch die in einer ganzen Region Luft, Wasser und Böden verschmutzt werden. Ausserdem ist es wiederholt zu Konflikten mit der indigenen Bevölkerung gekommen, die sich gegen die Mine und ihre Auswirkungen zu wehren versucht. Glencore hat die Verantwortung stets abgestritten, letztes Jahr haben aber neue Umweltstudien eindeutig gezeigt, dass die Mine für die Verschmutzung verantwortlich ist.

Ein weiteres tragisches Beispiel ist eine angebliche Vorzeigemine der Schweizer Goldindustrie in Peru. Dort kamen bei einem Brand in einem Stollen letztes Jahr 27 Minenarbeiter ums Leben. Bald darauf zeigte ein Behördenbericht, dass grundlegende Sicherheitsstandards nicht eingehalten wurden. So gab es in der Mine weder ein Warnsystem noch einen Evakuierungsplan. Die Notausgänge waren nicht beschildert, die Schutzräume mangelhaft ausgerüstet und in den Schächten lag Sprengstoff herum. Die Abnehmerinnen des Goldes, wie die Schweizer Raffinerie Metalor, UBS und zahlreiche Schweizer Schmuckkonzerne, scheinen sich nicht gross um die Risiken gekümmert zu haben. Fraglich bleibt zudem, wie die Mine von der Swiss Better Gold Initiative als besonders nachhaltig zertifiziert werden konnte.

Und auch in Brasilien zeigt ein Beispiel, dass Schweizer Konzerne noch immer die Augen verschliessen, wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt.Eine Tochterfirma von Syngenta, die mit Kaffee handelt, hat dort von miserablen Zuständen auf Kaffeeplantagen profitiert. Die Angestellten hatten oft keinen Zugang zu Trinkwasser oder sanitären Anlagen, keinen Arbeitsvertrag oder anständigen Lohn und in einigen Fällen waren auch Minderjährige betroffen. Syngenta reagierte teilweise nicht mal auf die Verstösse, als die Fälle öffentlich publik wurden.

Neue Initiative wird in den nächsten Monaten lanciert

Leider gibt es weltweit zahlreiche weitere solche Beispiele. Sie alle zeigen: Die Schweiz braucht dringend ein Konzernverantwortungsgesetz, damit Konzerne wie Glencore, Nestlé oder Syngenta endlich anständig geschäften und für verursachte Schäden geradestehen müssen. Die Koalition für Konzernverantwortung bereitet daher zurzeit eine neue Konzernverantwortungsinitiative vor, die in den nächsten Monaten lanciert wird.