Attraktiv für Konzerne und NGOs

Actares hatte im Frühjahr die Gelegenheit, im Radio Cité Genève ein Interview zu geben. Wir haben es für Sie in gekürzter Form schriftlich aufbereitet.

Radio Cité Genève: Sie fordern eine auf Nachhaltigkeit und Langfristigkeit basierende Strategie in den börsenkotierten Schweizer Unternehmen. Mit diesem Postulat wurde Actares im Jahr 2000 gegründet beziehungsweise sie ging aus zwei Organisationen hervor: Canes (Aktionärsverband von Nestlé) und VkA (Verein kritischer Aktionärinnen und Aktionäre der Bankgesellschaft, heute UBS). Was war der Grund für die Gründung von Actares?

Karin Landolt: Die Verantwortlichen der beiden Organisationen stellten fest, dass sie die gleichen Anliegen vertreten, und waren überzeugt, dass sie gemeinsam mehr erreichen konnten. So konzentrierten sie sich nicht mehr nur auf Nestlé und die Bankgesellschaft beziehungsweise UBS, sondern richteten ihre Aufmerksamkeit auf alle börsenkotierten Unternehmen, da ja auch alle in Sachen Nachhaltigkeit und Verantwortung riesige Defizite auswiesen.

Ich glaube, es gibt sehr viele Menschen, unter ihnen verantwortungsbewusste Aktionärinnen und Aktionäre, die nicht nur Wohlstand und eine prosperierende Schweizer Wirtschaft wünschen – was zweifelsohne ein wichtiges Anliegen ist –, sondern eben einen Wohlstand, der nicht zu Lasten anderer geht, sei es durch Verstösse gegen Menschenrechte oder die Missachtung von Umwelt und Klima. Diese Anliegen zu vertreten, ist unsere Motivation.


Wie viel Gewicht haben Ihre Interventionen? Können Sie uns konkrete Beispiele nennen?

Wir vertreten zwar über tausend Aktionärinnen und Aktionäre, doch ist das Gewicht unserer Aktien natürlich klein im Vergleich zum Einfluss von Grossaktionären. Das soll aber kein Grund sein, nicht zu intervenieren. Wir werden von den SMI-Konzernen sicher als Stachel im Fleisch wahrgenommen. Man nimmt unsere Interventionen via Öffentlichkeit und im direkten Dialog zweifellos ernst. Und daran arbeiten wir weiter. Inzwischen laden uns einige Konzerne zum Gespräch ein, weil sie erkennen, dass der kritische Dialog zur positiven Entwicklung eines Unternehmens beiträgt. Und bei uns wissen sie, dass wir zwar pointiert, aber konstruktiv auftreten. Wir sind keine militante Organisation, weil wir den wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz genauso wichtig nehmen wie das verantwortungsvolle Handeln der Konzerne. Aus diesem Grund sind wir sowohl für Konzerne wie auch für aktivistischere NGOs eine interessante Gesprächspartnerin.

So spielten wir etwa 2019 eine wichtige Vermittlerrolle im Fall Mosambik zwischen Vertretern von lokalen, zivilen Organisationen und der wegen ihrer Kreditvergabe kritisierten und beschuldigten Credit Suisse.


Wie hat sich das Thema Klima in Ihrem Dialog mit den Unternehmen entwickelt und wo stehen Sie heute?

Das Thema ist ein Must auf unserer Liste der Diskussionsschwerpunkte. Die Konzerne haben heute alle begriffen, dass es ohne Nachhaltigkeitsstrategie und eigene Massnahmen gegen klimaschädigende Aktivitäten und Lieferketten nicht mehr geht. Allein schon aus Imagegründen. Und hier sehen wir für uns Handlungsbedarf. Gute Absichten und ein Commitment reichen nicht, es braucht Taten. Darauf weisen wir hin, indem wir Transparenz fordern: Was wird erzählt und was wird effektiv geleistet? Und falls zu wenig geleistet wird: Wie lautet der Plan, um die Ziele zu erreichen?

Actares hat Anfang Jahr die Abstimmungskriterien für Generalversammlungen verschärft und um zusätzliche Bestimmungen ergänzt (siehe Seite 10).

Genügen Unternehmen diesen Kriterien nicht, wird Actares den Jahresbericht ablehnen und die Decharge verweigern.


2013 wurde die «Volksinitiative gegen die Abzockerei», die Minder-Initiative, mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen. Actares unterstützte diese Initiative von ihrer Lancierung bis zur Kampagne. 2014 prangerte Ethos den Missbrauch der Initiative an. Was stellen Sie heute bezüglich der Umsetzung dieser Initiative fest?

Tatsächlich konnte das Ziel, nämlich die Einschränkung exorbitanter Manager-Saläre und Manager-Boni, nicht erreicht werden.

Die Bilanz fällt ernüchternd aus. Oft wird der Geist der Initiative nicht respektiert, wenn es darum geht, wie die Vergütungen zur Abstimmung gebracht werden.

Wichtiger Punkt: Die Einflussmöglichkeiten, die das Aktionariat dank der Initiative erhalten hat, müsste es natürlich auch nutzen – das gilt besonders für die Grossaktionäre, ohne die nichts geht.


Im Jahr 2002 führten Sie eine umfassende Untersuchung zur Chancengleichheit von Frauen und Männern in den grössten börsenkotierten Unternehmen durch. Was ist Ihr Fazit 20 Jahre später in Bezug auf diese Chancengleichheit?

Laut aktuellen Studien hat sich die Situation für Frauen auf Führungsebene verbessert. Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen ist 2021 von 13 auf 19 Prozent gestiegen. Partners Group, Zurich Insurance und Holcim stehen mit 38, 36 und 30 Prozent gut da. Doch die Zahlen in den meisten anderen Konzernen zeigen, dass wir auch nach 22 Jahren nicht am Ziel sind. Im Vergleich mit dem Ausland stehen wir immer noch deutlich hinter Norwegen, Finnland oder Grossbritannien. Über 90 Prozent der neuen Kaderfrauen sind übrigens aus dem Ausland.

In den Verwaltungsräten sieht die Situation in den SMI-Konzernen immer noch schlecht aus. Der Anteil wächst zwar, doch ist die Schweiz im europäischen Vergleich Schlusslicht. Noch immer kumulieren Männer in Spitzenpositionen ihre Posten. Das führt ja auch dazu, dass die einzelnen Mandate nicht seriös ausgeübt werden können. Was oft der Grund ist, weshalb Actares die Wahl oder Wiederwahl von Verwaltungsratsmitgliedern ablehnt. Das hindert übrigens nicht nur Frauen, sondern auch Männer daran, Spitzenposten ein- und damit Einfluss zu nehmen. Auch lehnen wir regelmässig die Wahl ab, weil Unternehmen kein Interesse zeigen, den Frauenanteil von sich aus zu erhöhen. Wenn die Repräsentation des schlechter vertretenen Geschlechts durch eine Neuwahl auf unter 30 Prozent fällt oder unter 30 Prozent bleibt, lehnt Actares die Wahl des Verwaltungsrates ab.


Wofür werden Sie in diesem Jahr besonders kämpfen?

Transparenz im Finanzsektor gehört als Schwerpunktthema auf unsere Agenda 2022. Wir werden das Thema in unseren Actares-Foren beziehungsweise unseren Jubiläumsveranstaltungen beleuchten und haben dazu namhafte Referentinnen und Referenten eingeladen. In Zürich widmen wir uns der Frage, was faires und nachhaltiges Banking ist. In Genf steht der Finanzplatz Schweiz im Zentrum mit der Frage, welche Instrumente es braucht, um Greenwashing von echten Nachhaltigkeitsbestrebungen zu unterscheiden.

Weiter versuchen wir, potenzielle Mitglieder von unseren einzigartigen Abstimmungsempfehlungen zu überzeugen. Dies ist unser Spezialgebiet: Unseren Empfehlungen liegen sorgfältige Analysen zugrunde. Je mehr Aktionärinnen und Aktionäre sich diesen anschliessen, desto mehr Verantwortung können wir bei den Konzernen einfordern und so zur Entwicklung einer Wirtschaft im Dienste des Menschen und seiner Umwelt beitragen.

Interview: Karine Pollien

Das vollständige Interview nachhören:
https://www.podcastics.com/podcast/episode/rencontre-du-15032022-karin-landolt-125274/?fbclid=IwAR0BFZxdMfShgEc4dvXjOVPiVi3YthCc6tMsdWlRrxXnlHUbsXtjoIbUzXw